Es gibt k.einen Fachkräftemangel! (Glosse)

Viel wird über den “vermeintlichen” Fachkräftemangel diskutiert. Auch in diesem Medium habe ich schon öfter argumentiert, dass der demographische Wandel den Zuzug qualifizierter Migrant:innen, zum Beispiel aus Indien, notwendig mache.

Weil wir in einer VUCA-Welt leben, muss (heute) auch mal die Gegenposition erlaubt sein. Vielleicht stimmt ja auch BEIDES:
Es gibt k/einen Fachkräftemangel!

Hier ein paar (kontroverse) Thesen – und ein Disclaimer:

  • Durch fehlende Betreuungsangebote (Kinderkrippen, Kindergärten, Ganztagsschulen) machen wir es insbesondere Frauen schwer sich, im gewünschten Umfang, am Arbeitsmarkt einzubringen und verzichten so auf wichtige “Ressourcen”.1
  • Es gibt zu wenig Incentivierung von Leistung, sodass sich Mehrarbeit auch finanziell (wieder) lohnt.2
  • Wir nutzen das Arbeitskräftepotential und die Talente jener Zuwanderer, die seit 2015 zu uns gestoßen sind, (noch) nicht ideal aus – auch wenn wir acht Jahre Zeit hatten, diese zu qualifizieren.3
  • Potentielle Arbeitnehmer:innen könnten mehr Ehrgeiz entwickeln, wenn es um Weiterbildung geht. Ein Mangel an Flexibilität und Mobilität, gepaart mit einer Briese Bequemlichkeit, hindert viele Menschen daran, Wirtschaft und Gesellschaft aktiv mitzugestalten.
  • Die Unternehmen haben sich offensichtlich noch nicht an das geringere / neuartige Angebot an Arbeitskräften (und deren Bedürfnisse) angepasst. Es werden vielleicht auch noch zu viele Menschen für unproduktiven Tätigkeiten (und sog. “Bullshit Jobs”) eingesetzt oder die Arbeitsplätze sind nicht attraktiv genug.
  • Industrie, Gewerbe & Verwaltung nützen die Potentiale der Automatisierung und Digitalisierung noch nicht in dem Umfang, wie es eigentlich möglich und notwendig wäre,
  • was auch dazu führt, dass die Produktivität unserer Volkswirtschaft sinkt.4
  • Der Staat geht am Arbeitsmarkt mit der Privatwirtschaft in Konkurrenz und wirbt im öffentlichen Dienst mit attraktiveren Arbeitsplätzen und höheren Gehältern, was zu Verzerrungen am Arbeitsmarkt führt.5

Anstatt mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, sollte jede Stakeholdergruppe (Staat, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, etc.) erstmals selbst vor der eigenen Haustüre kehren und einen aktiven Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels leisten.

Nachhaltige Maßnahmen

Es gibt trotzdem noch ausreichend Gründe, gezielt auf die Anwerbung internationaler Talente zu setzen. Gerade jetzt – auch in der Rezession – sollten wir Strukturen schaffen, um langfristig die besten Fachkräfte der Welt anzuwerben und Österreich als Arbeitsmarkt international konkurrenzfähig zu machen. Dazu gehören auch die o.g. Maßnahmen.

Obwohl Wien und Österreich zu den lebenswertesten Städten beziehungsweise Ländern der Welt zählen, werden wir als Arbeitsmarkt – zum Beispiel in Indien – kaum wahrgenommen. Die meisten Inder wollen selbstverständlich in die USA, nach Kanada, Australien, Singapur, UK und wenn schon nach Europa, dann hat Deutschland die stärkste „Brand“. Österreich ist weitgehend unbekannt. Umso geschickter und gezielter muss man im Zielland Kandidat:innen ansprechen.

Die Ukraine und Ihre Fachkräfte – ein mögliches Szenario als SuperGAU

Sollte die Ukraine den Krieg mit Russland verlieren und zerfallen, rechnet die deutsche Bundesregierung mit rund zehn Millionen Flüchtlingen nach Westeuropa.6

Auch wenn darunter viele sehr gut ausgebildete Fachkräfte aus den MINT-Berufen dann zu uns strömen, wünscht sich dieses Szenario hoffentlich niemand.

Trotzdem ist es aktuell nicht ganz unwahrscheinlich – was selbstverständlich unsere Arbeitsmärkte nochmals mehr aus dem Gleichgewicht bringen würde, als das nicht ohnehin schon der Fall wäre, abgesehen von der Tragödie und dem menschlichen Leid.

  1. https://arbeiterkammer.at/interessenvertretung/arbeitundsoziales/frauen/Frauen_am_Arbeitsmarkt_noch_immer_benachteiligt.html ↩︎
  2. https://top-leader.at/wirtschaft/industriellenvereinigung-iv-definiert-massnahmenpaket-fuer-2024/ ↩︎
  3. https://www.nzz.ch/wirtschaft/pluendern-zuwanderer-das-deutsche-sozialsystem-oder-entlasten-sie-es-ld.1725020 ↩︎
  4. https://www.agenda-austria.at/grafiken/was-wurde-aus-der-produktivitaet/ ↩︎
  5. https://www.nzz.ch/meinung/neue-kluft-zwischen-staat-und-privatsektor-ld.1600884 ↩︎
  6. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/bundesregierung-fluechtlinge-niederlage-ukraine-krieg-russland-100.html ↩︎

Photo Credit: Bild von kirill_makes_pics auf Pixabay

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von

Wolfgang Bergthaler