Indiens erste Gratis-Zeitung macht alles anders

Eine Gratis-Zeitung für Indien? In Österreich mag ein solches Projekt keinen Hund hinter dem Ofen mehr hervor locken; im südasiatischen Wachstumsmarkt leisten die beiden Mittzwanziger Ankit Dhawan und Virat Mohan allerdings Pionierarbeit: “Delhi On The Go” ist Indiens erste Gratis-Zeitung. Grund für den späten Start sind Besonderheiten des Marktes, die die Gründer permanent fordern – von den entsprechenden Lösungen können österreichische Zeitungsmacher aber ebenso lernen.

So ist das Pricing etwa eine Hürde: Wie positioniert man ein Gratisprodukt in einem Land, in dem eine Ausgabe der “Times of India” bloß 3,50 Rpn (5 Cent) kostet? Der USP des Gratisprodukts liegt somit nicht im Preis, sondern in der leichteren Verfügbarkeit: Der Leser muss sich nicht durch den Straßenverkehr kämpfen, um am Kiosk seine Zeitung zu bekommen, sondern bekommt sie vor der U-Bahn-Station von einem Vertriebs-Mitarbeiter in die Hand gedrückt – das Personal ist günstig, so dass sich die Investition in Mitarbeiter lohnt, anstatt sich mit den Betreibern des öffentlichen Verkehrs über die Standorte von Klaubbeuteln zu streiten. Doch auch der Mensch ist eine Schwachstelle: “Für Altpapier wird an Sammelstellen Geld ausbezahlt”, sagt Mohan im Gespräch mit Indische-Wirtschaft.de: “Unsere Männer sind also versucht, die Zeitungen gleich an der Altpapier-Sammelstelle abzuliefern, anstatt sie unter den Menschen zu verteilen.” Für eine Ladung Papier bekommen sie teils mehr als für einen Tag Arbeit als Kolporteur. Andererseits bietet das System eine zusätzliche Form der Monetarisierung: Dhawan und Mohan überlegen, über eigene Mitarbeiter der Zeitung das Papier bei Betriebsschluss der U-Bahn einsammeln zu lassen und selbst gegen ein Entgelt zu entsorgen.

A propos Geld: Cash-Flow-positiv ist das vor knapp zwei Monaten gegründete Medium noch nicht; aber es wird erwartet, dass der Break-Even im Jänner 2012 erreicht wird. Gestartet wurde mit einer Auflage von 5000 Stück, nun sind es bereits 10.000 Ausgaben pro Tag
. Nachdem täglich mehr als zwei Millionen Menschen die U-Bahn Neu Delhis frequentieren, gibt es noch genug Raum nach oben.

Die Finanzierung des Mediums läuft klassisch über Werbung und Advertorials – und über Gegengeschäfte: Content wird von anderen Quellen – etwa Kochrezepte der beliebtesten Köchin Indiens – übernommen, im Gegenzug erhalten die Autoren einen Hinweis auf ihre Website. Das hilft nebenbei auch, die Kosten für die Redaktion schlank zu halten: Der Content ist ohnehin im Web vorhanden; Dhawan und Mohan müssen ihn nur noch finden, filtern und mit den Quellen Abkommen schließen.

Doch wer sollte auf dem Weg in die Arbeit Interesse an Kochrezepten haben? Auch hier geht “Delhi On the Go” einen alternativen Weg: Anders als europäische Gratis-Zeitungen handelt es sich hierbei nämlich um eine Abendzeitung. So konkurriert das Team nicht im gesättigten Markt der Morgennachrichten, sondern kann die Menschen auf dem Heimweg aus der Arbeit begleiten – mit Geschichten, die sich im Lauf des Tages ergeben: Morgens um 7 Uhr treffen sich Dhawan und Mohan in ihrem Büro, screenen die tagesaktuellen Nachrichten und bauen auf diesen auf – so können Geschichten im Lauf des Tages weiter gedreht werden. Um 12 Uhr mittags ist Redaktionsschluss, am Nachmittag wird bereits verteilt.

Wie nun wohl die weiteren Pläne sind, wenn mal der Break-even erreicht ist? “India on the Go”, sagt Mohan – weitere indische Städte sollen erschlossen werden. Danach könne vielleicht sogar eine Internationalisierung erwägt werden mit “London on the Go” oder – er lächelt schelmisch – “Vienna on the Go”.

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von

Wolfgang Bergthaler

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