Indiens Zeitungsmarkt boomt

Von Krise keine Spur: Der Zeitungsmarkt in Indien boomt – trotz Konkurrenz vom Fernsehen. Die Bevölkerung giert nach Nachrichten. Und wer nicht selbst lesen kann, lässt sich die Zeitung eben vorlesen. Zeitungen sind billiger als TV, auch Internet haben nur wenige.

„Breaking News“ in Neu Delhi – Dutzende Reporter schwirren herum, die Kameraleute drängeln sich für das beste Bild, und die Übertragungswagen hetzen durch den Verkehr. In Indien ist die Konkurrenz zwischen den Medienunternehmen groß. Doch während im Westen die technische Entwicklung von Fernsehen und Internet zu einer Krise der Printmedien geführt hat, steigen seit Jahren die Zeitungsauflagen auf dem Subkontinent. In Indien gibt es weltweit die meisten Zeitungen und Zeitschriften – mehr als 82 000 Titel. Und es werden mehr.

Auch auf dem Land sieht man sie überall: Inder, die in Teebuden am Straßenrand oder auf staubigen Dorfplätzen die Zeitung lesen. Oft teilen sich mehrere Dörfler ein Blatt, und für diejenigen, die nicht lesen können, werden die neuesten Nachrichten vorgelesen. Jeden Tag werden mehr als 107 Millionen Exemplare verkauft, das belegen die neuesten verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2009. Zum Vergleich: Die in Deutschland erscheinenden Tageszeitungen hatten im selben Jahr eine Verkaufslauflage von rund 20 Millionen pro Erscheinungstag – Sonntags- und Wochenzeitungen nicht eingerechnet. Für das schnelle Wachstum des Zeitungssektors werden die gute Wirtschaftslage, höhere Einkommen, hohe Werbeetats von Firmen und vor allem die steigende Alphabetisierung der Bevölkerung verantwortlich gemacht.

Viele Inder seien besser gebildet und hätten wachsende Ansprüche. Deswegen wollen sie besser informiert sein, sagt Durbar Ganguly, Chefredakteur der englischsprachigen „Millennium Post“. „Sie sind zunehmend hungrig nach Nachrichten und abonnieren mehrere Zeitungen und Magazine“, sagt er. Virender Bidhuri bereitet sich auf ein Beamtenexamen vor. Er kommt vom Land. „Daheim im Dorf hatte unsere Familie nur eine Zeitung in Hindi.“ Er hat nun zwei englischsprachige Zeitungen und mehrere Nachrichtenmagazine abonniert.

Die Wirtschaftsreformen der 1990er Jahre und die rasanten technischen Entwicklungen beim Satellitenfernsehen haben einen wahren Medienboom ausgelöst. Fernsehen ist das Leitmedium für Nachrichten. Statt eines Staatssenders gibt es heute 825 Fernsehkanäle – etwa 130 von ihnen sind Nachrichtensender. Die elektronischen Medien haben auch den Zeitungsboom mitzuverantworten, sagen indische Zeitungsmacher. Fernsehnachrichten machten Lust auf detaillierte Informationen und Analysen. Nur zehn Prozent der Bevölkerung haben einen Internetzugang. Aus dieser Ecke lauert nach Ansicht von Medienanalysten noch wenig Konkurrenz für die Zeitungen.

Zeitungen kosten oft nur vier oder fünf Eurocent – einen Bruchteil des Preises in Europa. Trotzdem werfen sie Gewinne ab. Annoncen und Werbung sind in Indien noch ein gutes Geschäft. Die Blätter sind oft nur wenige Seiten dick – aber einen Fernseher oder ein Abo für Satellitenkanäle können sich viele nicht leisten.

Die Zahl der Zeitungstitel ist in den vergangenen fünf Jahren offiziellen Angaben zufolge um fast ein Viertel gestiegen. Zeitungen erscheinen auf Englisch, Hindi, oder in etwa 40 regionalen Sprachen. Insgesamt erreichen sie 329 Millionen Leser, von Indiens etwa 1,2 Milliarden Einwohnern. Vor allem die nichtenglischen Titel boomen. „Die Menschen werden gebildeter und wollen mehr über sich selbst, lokale Themen und Politik lesen“, sagt Shravan Garg, der Chefredakteur der Nai Duniya Gruppe, einem Teil von Indiens größtem Printkonzern, Dainik Jagran
. Jüngere Leser bevorzugen oft englische Titel – Kenntnis dieser Sprache gilt immer noch als Grundvoraussetzung für eine Karriere in Politik oder Wirtschaft.

Indiens Medien gelten als unabhängig und kritisch. Trotzdem mehrt sich die Sorge um sinkende Standards und zunehmende Einflussnahme von Politikern und Geschäftsleuten. Die Medienlandschaft werde zunehmend von wenigen großen Playern beherrscht, sagt Medienexperte Paranjoy Guha Thakurta. Dies sei eine besorgniserregende Entwicklung, meint auch Chefredakteur Ganguly. „Mehr noch als die Parteien sind es die Konzerne, die die Themenführung kapern und ihre eigenen Agenden pushen. Objektivität und die Qualität des Journalismus sind in Gefahr.“

(dpa)

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von

Wolfgang Bergthaler

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