Es gibt kaum einen anderen geeigneteren Ort, um das Thema Frugale Innovation zu erforschen, als Deutschland (Interview)

Unternehmen egal welcher Größe stehen im Zuge der Globalisierung unter verstärktem Wettbewerbsdruck. Da deutsche Unternehmen im Kostenvergleich vielen internationalen Wettbewerbern zum Teil deutlich unterlegen sind, müssen sie Wettbewerbsvorteile durch eine hohe Innovationsfähigkeit erzielen.

Um in Indien erfolgreich zu sein, bedarf es aber nicht immer die hochwertigsten Produkten (im europäischen Sinn), sondern die richtigen Produkten, die über die effektivsten Vertriebskanäle und mit dem geeignetsten Geschäftsmodell vermarktet werden. Die Innovationsfähigkeit zeichnet sich in Bezug auf Indien nicht durch Hinzufügen neuer Zusatz-Features aus, sondern durch ausschließliche Konzentration auf das, was echten Kundennutzen schafft.

Die Entwicklung von so genannten „Value Products“ (viel Mehrwert und Service zu einem geringen Preis) ist für deutsche Unternehmen eine besondere Herausforderung. Das Center for Frugal Innovation (CFI) unter der Co-Leitung von Dr. Rajnish Tiwari ist eine Initiative des Forschungsprojekts “Global Innovation” am Institut für Technologie- & Innovationsmanagement der Technischen Universität Hamburg-Harburg und beschäftigt sich genau mit diesen Themen. Indische Wirtschaft sprach mit Herrn Dr. Rajnish Tiwari über die Themen “Frugal Innovation” und “Reverse Innovation”.

Indische Wirtschaft (IW): Sie forschen in Deutschland zum Thema “Frugal Innovation”. Warum ist das der richtige Ort? Oder anders gefragt: Warum ist “Frugal Innovation“ so wichtig für Deutschland und seine Unternehmen?

Tiwari-2Rajnish Tiwari (RT): Wenn Sie mich fragen: Es gibt kaum einen anderen geeigneteren Ort, um das Thema „frugale Innovationen“ zu erforschen. Denn Deutschland besitzt mit seinen hervorragenden technischen Kompetenzen, das elementare „Know-how“ für Produktentwicklung, das durch Rekombination und Weiterentwicklung (Stichwort: Analogien) zu erheblicher Reduktion der Entwicklungskosten und –risiken führen kann. Die deutsche Wirtschaft ist global ausgerichtet und sehr gut – auch in solchen Leitmärkten frugaler Innovationen wie Indien – vernetzt. Damit haben Sie eigentlich das Beste der beiden Welten. Hinzu kommt natürlich, dass auch deutsche Unternehmen auf Erfolge in den wachsenden Schwellen- und Entwicklungsländern angewiesen sind. Und zu gutem Letzt: Wir sehen viele Indikatoren für eine zunehmende Preissensibilisierung der privaten wie institutionellen Kunden auf Heimatmärkten und in Europa. Da kann es nicht schaden, wenn die Wissenschaft die Unternehmen einfach rechtzeitig auf die Chancen und Herausforderungen der sehr wahrscheinlichen Zukunft vorbereitet.

IW: Wie ausgeprägt ist in Mitteleuropa die Awareness für “Frugal Engineering”? Ist das bereits ein Thema bei den Firmen? Wenn ja, in welchen Branchen?

RT: Da gibt es ein noch sehr gemischtes Bild. Manche Unternehmen – sogar fernab der öffentlichen Berichtserstattung – haben die Chancen „frugaler Innovationen“ erkannt und sind damit auch erfolgreich geworden, etwa der Landmaschinenhersteller Claas oder der Scheinwerferproduzent Hella. Viele andere tun sich aber auch schwer damit, die bestehenden Denkmuster, Arbeitsabläufe und Dogmas in Frage zu stellen, die bei manchen vielleicht die letzten 50 Jahre Bestand gehabt haben und mit denen man bisher sehr gut gefahren ist. Es ist schwer, da komplette Branchen zu nennen. Als Grundregel gilt, je näher man am Endkunden dran ist, desto größer ist der Kostendruck. Es führt aber leider manchmal doch zu einer ganz anderen Reaktion. Es ziehen sich einige aus dem großen Geschäft zurück und konzentrieren sich einfach auf das margenreiche Premiumsegment; längerfristig betrachtet eine zweifellos riskante Strategie, denn dieser Nischenbereich zieht immer mehr Konkurrenz und gleichzeitig sinkt sein relativer Anteil am Markt.

IW: Warum tun sich deutsche Unternehmen schwerer mit dem Thema als Koreanische oder Amerikanische, die ja auch aus relativ entwickelten Volkswirtschaften kommen?

RT: Ich glaube, das hat zum einen mit dem Selbstverständnis der Unternehmen zu tun. Wir haben in Deutschland eine hohe Konzentration der sog. „Hidden Champions“, d.h. von sehr erfolgreichen mittelständischen Unternehmern. Diese Unternehmen sind oft im Familienbesitz. Das hat zweifelsohne sehr viele Vorteile, aber auch einen Nachteil. Es kann ab und an mal zu gewissen „blinden Flecken“ (sprich Betriebsblindheit) führen. Wir hatten beispielsweise einmal mit einem Unternehmen zu tun, das in seinem Industriebereich weltweit sehr erfolgreich ist, in den Schwellenländern wie Indien aber seine Marktposition zunehmend von den chinesischen Konkurrenten bedroht sieht. Die Marketingabteilung würde daher für den indischen Markt gerne Produkte entwickeln, die den Marktgegebenheiten besser gerecht werden. Die von dem Firmenpatriarch festgelegte Produktpolitik aber gibt – unmissverständlich – vor, dass die Firma weltweit dieselben Produkte vertreibt und zwar nur im Fachhandel, also nicht einmal in Supermärkten oder online sollen die Produkte zu erwerben sein. Das ist ein erheblicher Kostentreiber. Da sind größere Konzerne in der Regel flexibler, weil dort oft Manager Entscheidungen fällen, die aufgrund der etwas geringeren emotionalen Verbindung zu der Unternehmenshistorie vielleicht etwas zugänglicher für die objektiven Sachkriterien sind.

IW: Welche Rahmenbedingungen muss eine Organisation schaffen und welche Entscheidungen treffen, damit “Frugal Innovation” überhaupt stattfinden kann? Was muss erlernt und “verlernt” werden, um Produkte für Indien zu entwickeln?

RT: Das Wichtigste, woran man sich vielleicht immer wieder erinnern sollte, ist, dass auch Innovation kein Selbstzweck ist. Schon Adam Smith hat bekannter Weise geschrieben, „Der Verbrauch ist der einzige Zweck und das einzige Ziel jeder Produktion; und das Interesse des Produzenten sollte nur so weit beachtet werden, wie es notwendig sein mag, das Verbraucherinteresse zu fördern.“ Wir müssen also lernen, dass eine Innovation nicht zwingend nur darin besteht, die Leistungsfähigkeit eines Produktes immer weiter zu steigern, sondern auch darin, dass dieses Produkt eine breite Diffusion erreicht. Der erzielte Grenznutzen der Leistungssteigerung muss nicht nur die zusätzlichen Kosten sondern auch den Preisanstieg angemessen rechtfertigen. Wir sollten mehr Marktorientierung in den Innovationsprozess rein bringen und „verlernen“, dass Innovationen nur technischer Natur sein können. Die wirklich spannende Herausforderung der Produktentwickler besteht nicht darin, ein Produkt noch komplexer zu machen; sondern darin, es im Angesicht des enormen Kostendrucks erschwinglich, intuitiv bedienbar und umwelt- und sozialgerecht herzustellen
. Wenn die Produktentwickler von Tata Motors einen sicheren und qualitativ einwandfreien Lieferwagen (Tata Ace) für weniger als $50 Millionen, also für weniger als ein Zehntel des üblichen Entwicklungsbudgets eines vergleichbaren westlichen Models, entwickeln können, dann kann man mit Sicherheit von einer hoch spannenden und erfüllenden Entwicklungsaufgabe reden.

IW: Auf “Indische Wirtschaft” habe ich schon oft über das Thema “Reverse Innovation” geschrieben, mit dem Sie sich auch intensiv auseinander setzen. Das das Thema eine akademische Übung mit den ewig gleichen Fallbeispielen oder werden Innovationen aus Indien wirklich einmal eine Rolle in Mitteleuropa spielen?

RT: Da kann ich Sie gleich beruhigen. Das Thema spielt schon heute eine Rolle in Mitteleuropa, also wir brauchen da gar nicht echt in der Zukunftsform zu sprechen. Es gibt zahlreiche Beispiele jenseits der viel veröffentlichten.

IW: Wo begegnen wir heute schon “Reverse Innovation” in Deutschland?

RT: Eigentlich könnte ich fragen, wo denn nicht? Das „Problem“ ist doch nur, dass viele Produkte entweder wegen ihrer Etikettierung oder aufgrund ihrer „unsichtbaren“ Rolle im Endprodukt vom Endverbraucher nicht wahrgenommen werden. Denken Sie doch bitte einfach an Unternehmen wie Airbus, Daimler oder SAP, wo in viele Produkte innovative Softwarelösungen indischer (interner wie externen) Produktentwickler einfließen. Sie nutzen doch tagtäglich solche Produkte. Oder, denken Sie an die Autos von Suzuki und Hyundai. Da steckt nicht selten ein erheblicher Beitrag der indischen Ingenieure in der Produktentwicklung und nicht nur bei der Produktion. Ohne viele Namen nennen zu wollen, kann ich Ihnen sagen, dass Sie – jenseits der ohnehin bekannten Beispiele wie GE‘s MAC 800 oder Siemens Röntgengeräte – hunderte Beispiele für solche Produkte, auch aus dem Mittelstand finden können, etwa in der chemischen oder Autozulieferindustrie. Als Akademiker muss ich hier jedoch festhalten, dass „reverse“ und „frugal“ nicht zwingend deckungsgleich sein müssen.

IW: Sie organisieren am 19.November in Hamburg ein Symposium zum Thema “Mastering the frugal challenge: Innovating for global growth through affordable solutions”. Wen wollen Sie damit ansprechen und was erwartet die Teilnehmer an diesem Tag?

CIF_TIM_TUHH_LogoRT: Wir wollen damit gerne Praktiker und Entscheidungsträger in Unternehmen erreichen. Denn in unserer Forschung haben wir festgestellt, dass inzwischen viele Unternehmen die Wichtigkeit „frugaler“ Innovationen erkennen. Das „Warum“ ist damit schon einmal etwas besser bekannt. Es herrscht aber immer noch eine gewisse Ratlosigkeit, was das „Wie“ anbelangt. Die enorme Herausforderung, die schon damit beginnt, dass man alles Bestehende hinterfragen und anschließend mit seinen kostengünstigen Produkten den extrem preissensitiven Konsumenten gewinnbringend überzeugen muss, lässt sich vielleicht leichter bewältigen, wenn man mit Gleichgesinnten aus der Praxis trifft, die dies bereits einigermaßen gemeistert haben, also Unternehmen wie Claas, GE oder Siemens. Mittels welcher Innovations- und Organisationsstrategien es diese und weitere Unternehmen geschafft haben, global erfolgreiche frugale Innovationsstrategien zu etablieren, wird im Rahmen des Symposiums erörtert. Darüber hinaus haben wir auch Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer, das Frugal Innovation Lab der Santa Clara University sowie die Universe Foundation aus Dänemark. In all diesen Institutionen gibt es große Expertise für die relevanten Themen. Von den Erfahrungswerten unserer hochkarätigen Referenten können Unternehmen viel profitieren. Wir zeigen natürlich auch unsere Forschungsergebnisse.

IW: Vielen Dank für das Interview. 

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Die englisch sprachige Veranstaltung, die vom „Center for frugal Innovation“ der Technischen Universität Hamburg-Harburg organisiert wird, richtet sich in erster Linie an Senior-Manager mittlerer und großer Unternehmen, die international positioniert sind. Weitere Informationen, die detaillierte Agenda sowie das Anmeldeformular finden Sie unter folgendem Link http://cfi.global-innovation.net/?page_id=127

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Beitrag veröffentlicht

von

Wolfgang Bergthaler