Was bei uns als Innovation gilt, ist in Indien (schon) die Regel

Management-Stile (Indien vs. Europa) im Vergleich

Letzten Mittwoch war ich in Graz auf einer Veranstaltung zum Thema Entrepreneurship. Die meisten Teilnehmer waren Studenten von der Karl-Franzens-Universität Graz, die zur unternehmerischen Selbstständigkeit motiviert werden sollten.

Organisationsberater, Trainer und Dozent Michael Faschingbauer hielt die Key-Note Speech zum Thema Effectuation, ein von ihm (weiter)entwickelter und propagierter „Management“-Ansatz, der sich besonders gut für Unternehmensgründer eignet. Aber eigentlich ist Effectuation genau das Gegenteil von Management beziehungsweise strategischem Denken. Zumindest hat Faschingbauer beide Ansätze gegenüber gestellt und an Hand von vier Merkmalen unterschieden.

  1. Ziel vs. Mittel: Im Gegensatz zur Ziel-Orientierung der strategischen Unternehmensführung, steht bei Effectuation die Mittel-Orientierung (welche Ressourcen hab ich zur Verfügung?) im Zentrum des unternehmerischen Handelns.
  2. Erwarteter Ertrag vs. leistbarer Verlust: Während der klassische Unternehmer schon in der initialen Konzept-Phase das komplette Geschäft in seiner größten Ausbau-Stufe skizziert und alle zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel in die Schlacht wirft, orientiert sich der effektuierende Entrepreneur daran welche Risiken er/sie eingehen kann, die leistbar sind – ohne persönlich und unternehmerisch Schaden zu nehmen.
  3. Puzzle vs
    . Fleckerlteppich:
    Der Stratege kooperiert ausschließlich mit den richtigen und idealen Partnern (Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern, Mitgründer), die sorgfältig ausgewählt werden. Effectuation zeichnet sich dadurch aus, dass man mit jenen zusammen arbeitet, die (von Beginn an) gerne mitmachen und sich einbringen, auch wenn sie nicht die Ideal-Kriterien erfüllen.
  4. Kochrezept vs. Improvisieren: Die Methoden der Management-Lehre sind linear, prozessual und reproduzierbar, wie bei einem Kochrezept. Wenn Sie nach Rezept kochen, bekommen Sie ziemlich sicher das gleiche Rezept wie der Rezept-Autor (=Management). Wenn Sie aber aus dem Kühlschrank nehmen, was da ist, zu kochen beginnen und dabei improvisieren, bekommen Sie jedes mal ein ganz neues Gericht. Damit schaffen Sie genau die Innovation, die Entrepreneure suchen. Unerwartetes, Zufälle und Umstände können als Hebel genutzt und in Innovation und unternehmerische Gelegenheiten transformiert werden (Effectuation).

Im persönlichen Gespräch nach dem Vortrag bezeichnete sich Faschingbauer selbstironisch als “Netzbeschmutzer”, da er als Dozent nun ja genau das Gegenteil propagiert, was er als MBA (Master of Business Administration) gelernt hat. Mit Effectuation hat Faschingbauer ein Thema gefunden, das er im deutschsprachigen Raum exklusiv besetzt hat – ähnlich wie ich mit „Indovation“. Damit hat er ein (bei uns) innovatives Thema, das er landauf, landab präsentiert. Seth Godin würde – frei übersetzt – sagen: er treibt die bunte Kuh durch jedes Dorf. Ich sage: Recht hat er!

Wenn man aber Effectuation von einer objektiven Perspektive betrachtet, heraus zoomt, und den Blick nach Asien wirft, merkt man, dass die bunte Kuh dort eigentlich zum täglichen Straßenbild gehört. Was bei uns als innovativ, neuartig und mutig gilt, ist dort absoluter Mainstream. Denn obwohl auch in Indien die Business Schools „Management by USA“ unterrichten, merkt man recht schnell, dass Indien eigentlich ausschließlich effektuiert. Mittel-Orientierung, iteratives Vorgehen, Risiko-Minimierung, Fleckerlteppich-Lösungen und permanente Improvisation beherrschen dort den unternehmerischen Alltag.

Hat Indien da schon wieder eine Generation übersprungen (leapfrogging) oder hinkt es gar noch hundert Jahre hinterher?

Jedenfalls ist es immer nützlich mal wieder einen Blick nach Indien zu werfen, um eine gewisse Objektivität zu wahren und vielleicht sich auch sogar etwas zu lernen.

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Beitrag veröffentlicht

von

Wolfgang Bergthaler