Job in Indien als Intensiv-Therapie gegen „doing business as usual“

Indische Wirtschaft hat in Hyderabad den Wiener Stefan Pellech getroffen. Er arbeitet in der südindischen Metropole für das Consulting-Unternehmen Intellecap. Wir haben mit ihm über Sozialunternehmertum und sein spannendes Leben als Ausländer in Indien gesprochen.

IW: Vielleicht können Sie die Firma und Ihre Arbeit nochmals für unsere Leser in ein paar Worten zusammenfassen.
SP: Ich arbeite für Intellecap, das führende Beratungsunternehmen im Social Entrepreneurship Bereich. Wir arbeiten mit Unternehmen, NGOs, Entwicklungs- und Regierungsorganisationen zusammen, um wirtschaftliche Entwicklung durch „market-based solutions“ zu fördern und soziale Entwicklung zu gewährleisten.

IW: Was ist das Spannende an Ihrem Job, beziehungsweise am Unternehmen?
SP: Zuallererst ist es kein „9 to 5 Officejob“. Ich bin mit einem jungen Team mit Fragestellungen konfrontiert, für die es relativ wenig Recherchematerial gibt. Wir arbeiten im Bereich early stage businesses – Produkte und Dienstleistungen, für welche bis dato keine Vergleichsmöglichkeiten bestehen – und erstellen Modelle mit finanziellem und sozialem Impact.

IW: Können Sie uns Beispiele nennen. Welche Produkte und Dienstleistungen haben die Unternehmen entwickelt, in die Venture Capital Fonds investieren?
SP: Die meisten Fonds im Social Entrepreneurship Bereich investieren innerhalb von einigen wenigen Sektoren: Energie, Wasser und Hygiene, Gesundheit, Ausbildung, Agrar, Technologie und Finanzdienstleistungen. Der Mikrofinanzsektor war einer der ersten, auf den VC Fonds aufmerksam wurden (siehe Sequoia undAavishkaar). Seit einiger Zeit sehen wir aber eine hohe Anzahl von Investitionen in Unternehmen, welche zum Beispiel Sanitär- oder Wasseraufbereitungsanlagen für Slums konstruieren oder Solarlampen in Regionen verkaufen, welche bis dato noch keinen Zugang zum Elektrizitätsnetz haben. Auch wird in viele Unternehmen im Gesundheitsbereich investiert, die bezahlbare Pflege – Aravind, Vaatsalya, GV Meditech – in kleineren Städten und ländlichen Gebieten anbieten.

IW: Wie unterscheiden sich die Erwartungen dieser Investoren sowie der Prozess der Due Diligence vom herkömmlichen Investment Banking?
SP: Um in diesem Markt zu investieren, ist es essentiell, ein profundes Wissen vom „Base of the Pyramid Markt“ (BOP) zu besitzen. Auch wichtig ist es, die Risiken von sehr jungen Unternehmen, welche in unterentwickelten Märkten operieren und diese oftmals erst selber kreieren, einschätzen zu können.

IW: Wie kann man sich die Social Venture Szene in Indien vorstellen?
SP: Da der Markt noch relativ klein und unerschlossen ist, werden wir in Zukunft enorme Möglichkeiten für neue Investitionen und nachträgliche Entwicklung sehen. Außerdem ist der Markt sehr disaggregiert, die meisten Unternehmen und Social Entrepreneurs operieren immer noch in einzelnen Städten oder Regionen und behandeln lokale Probleme.

IW: Was können/müssen wir im Westen von den Indern unternehmerisch lernen?
SP: Mich beeindruckt vor allem die Bereitschaft, Neues zu lernen und die Neugier fremden Kulturen gegenüber. Im akademischen Bereich ist eine sehr hochstehende, meist international erworbene Qualifikation feststellbar. Außerdem ist in den großen Städten eine dramatische Aufbruchsstimmung bei den jungen qualifizierten Indern erkennbar, die in hohem Maße selbständig tätig sein wollen. Viele sehen die sozialen Missstände als Herausforderung, selbst aktiv Transformationsprozesse einzuleiten.

IW: Wie unterscheidet sich die indische Unternehmenskultur-Kultur von Mitteleuropa?
SP: Im Gegensatz zu Europa ist die indische Unternehmenskultur kaum durch Arbeitnehmer Mitbestimmung gekennzeichnet. Noch werden viele Unternehmen nach klassisch patriarchalischem Muster geführt
. Mitarbeiterrechte sind weitgehend noch Fremdworte. Als ich mit Denguefieber praktische bewegungsunfähig in meiner Wohnung lag, hat mir meine Firma das Essen nach Hause geschickt, aber meine Krankheitstage, wie allgemein üblich, als Urlaubsüberschuss gerechnet.

IW: Sie arbeiten und leben mit „young working Professionals“ zusammen. Wie würden Sie die Jugendkultur in Hyderabad beschreiben? Wie unterscheidet sich das Leben eines 25-jährigen Inders aus der gehobenen Mittelklasse zu einem Young Professional in Wien?
SP: Dramatisch erkennbar ist das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne innerhalb der jungen neuen Mittelklasse. Lebensgemeinschaften ohne Eheschließung sind in den Städten außer Bombay und Bangalore immer noch tabu. Hotel Mama ist in Indien selbstverständlich, die Young Urban Professionals leben im eigenen Elternhaus  oft bis zur offiziellen Eheschließung.

IW: Was werden Sie persönlich vermissen, wenn Sie Indien wieder verlassen?
SP: Eine noch sehr traditionelle Kultur, deren Werte in wenigen Jahren sicher nicht mehr existieren und mit der neuen Generation untergehen werden.

IW: Warum sollte ein ambitionierter junger Mensch nach Indien kommen? Was kann man hier lernen und mitnehmen?
SP: Die Herausforderung, täglich aufs Neue in hohem Masse improvisationsbereit zu sein. Man sollte es als Fitnessübung gegen das westliche „doing business as usual“ sehen – als Gehirnjogging in anderer kultureller Umgebung.

IW: Was raten Sie jemanden, der für längere Zeit nach Indien geht, um dort zu arbeiten. Welchen Mindset und welche Charaktereigenschaften sollte er/sie mitbringen?
SP: Man sollte zunächst ein weltoffener Mensch sein, bereit sein, sich anderen Kulturen anzupassen und ein Gefühl für Fremdsprachen entwickeln – die Basics des Hindi sollte man innerhalb der ersten Monate erworben haben. Die Flexibilität und Improvisationsbereitschaft und auch eine gute physische und psychische Stabilität sollte man mitbringen. Letztlich ist ein bisschen Jugaad nie schlecht, um in Indien weiterzukommen.

IW: Wir wünschen noch viel Spaß in Indien und danken für das Interview

(Interviewer: Wolfgang Bergthaler)

Similar Posts:


Beitrag veröffentlicht

von

Wolfgang Bergthaler

Kommentare

Schreibe einen Kommentar