Sport ist Mord

Ich habe mir vorgenommen, auch während meines Indien-Aufenthalts, regelmäßig zu laufen, um mich so fit zu halten und das übermäßige aber exzellente Essen einigermaßen zu kompensieren. Mein Vorsatz ist löblich – die Umsetzung gestaltet sich aber, wie vermutet, schwierig. (Breiten-)Sport im Allgemeinen und Laufen im Speziellen haben in Indien so gut wie keinen Stellenwert. Bis auf Kricket und Yoga können sich Inder kaum für (aktiven) Sport begeistern. Körperliche Anstrengung gilt für den Wohlstands- und Bildungsbürger der besseren Gesellschaft auch heute noch oft noch unangemessen. Wegstrecken ab 300 Meter werden grundsätzlich nur mehr mit Riksha, Motorrad oder Auto zurückgelegt
.

Zur Verteidigung der Inder möchte ich aber noch anführen, dass es wenig Freude bereitet durch die Straßen zu spazieren, geschweige denn zu laufen.
Neben dem enormen Verkehrsaufkommen, der starken Luftverschmutzung und der Hitze fehlen meist auch die Gehwege. Im Gegensatz zu Bildung und Kultur wurde Sport in den Schulen nie gefördert. Private Sportvereine oder öffentliche Sportförderung oder familiäres Engagement gibt es so gut wie nicht. Daher auch keine entsprechende Infrastruktur.

In den letzten Jahren raffen sich aber mehr und mehr der, durch Wohlstands-Erkrankungen (insbesondere Übergewicht, Herz- Kreislauferkrankungen, Diabetes) gezeichnete, obere Mittelschicht auf, um am Morgen beziehungsweise nach der Arbeit noch ein paar Runden im Park im Kreis zu marschieren. „Walking“ ist damit der erste indische Volkssport – Hauptmotivation „Gewichtsverlust“. So ziehen täglich Heerscharen ihre 400m Runden in den kleinen Parkanlagen der Großstädte: Männer mit Hemd und Faltenhose, Frauen meist in ihren traditionellen Gewändern. Für die unterprivilegierten Schichten spielt Bewegung und Sport natürlich absolut keine Bedeutung – sie sind eher damit beschäftigt ihren (Über)Lebensunterhalt zu verdienen.

Basierend auf dem Trend eines aufkommenden Gesundheitsbewusstseins haben sich in den fünf bis zehn größten Städte Indiens Lauf-Veranstaltungen etabliert – wobei die meisten wohl gehen. Ich  habe mir vorgenommen an diesen Events teilzunehmen, um zu erleben was sich da bewegt und mitzuLAUFEN. So geschehen vor einer Woche beim Delhi Halbmarathon (es gab auch kürzere Strecken) und letzten Sonntag in Hyderabad beim 10k-Stadtlauf rund um den „Tank Bund“, dem künstliche angelegten See der südindischen 5-Millionen-Einwohner Metropole. Lassen Sie mich meine bisherigen Beobachtungen der ersten beiden Veranstaltungen zusammenfassen:

  • Es gibt mehr Walker als Läufer – siehe oben
  • In Indien heißt jede Laufveranstaltung Marathon – also solche wird sie auch auf der Website der Veranstalter angekündigt (10k Marathon)
  • Die Teilnehmerzahlen sind beachtlich. In Delhi waren 30.000 Menschen auf den Beinen, in Hyderabad etwa 20.000 unterwegs
  • Die Medien bereiten eine absolut kommerzielle Plattform für werbende Unternehmen
  • Laufen/Gehen ist in Indien kein Einzelsport, sondern ein Team-, Firmen-, beziehungsweise Charity Event – in Hyderabad hatte Deloitte über 1.000 ihrer MitarbeiterInnen an den Start gebracht. In Mumbai gibt es nur ein paar hundert offene Startplätze. Alle anderen Teilnehmer müssen ich bei NGOs registrieren und einen relativ hohen Betrag zahlen. Durch können diese Organisationen Spendengelder für ihre Projekte aufstellen (“run for a cause”).
  • Es ist wunderbar mal ein paar Verkehrs-freie Stunden in Indien zu erleben – und wenn es nur wenige Straßenzüge sind
  • Jeder Teilnehmer muss seine Blutgruppe und eine „Emergency Number“ auf der Startnummer vermerken – im Fall der totalen Erschöpfung
  • Trotz Online-Anmeldung, muss man bei der Abholung der Startnummer nochmals Formulare ausfüllen und unterschreiben, seine Identität mittels Kopie des Reisepasses bestätigen, sowie die Kreditkarte der Online-Zahlung vorweisen. Das Internet ist tot – es lebe die indische Bürokratie!
  • 60-Jährige „Walker“ stellen sich in die erste Startreihe
  • Der eine oder andere Starter läuft sogar ohne Schuhe
  • Afrikanische Athleten werden engagiert und mit attraktiven Preisgeldern (in Delhi bis 25.000 Dollar) belohnt
  • Neben den Kenianern und Äthiopiern gibt es noch ein paar schnelle Athleten aus der Armee. Dann kommt lange nichts, gefolgt von ein paar wenigen Hobbyläufern und nach einer Weile dann der Rest der Wanderer, die wahrscheinlich zum ersten Mal eine derartige Strecke zu Fuß zurück legen

Ich habe die beiden bisherigen Veranstaltungen absolut genossen. Ich finde es spannend eine indische Stadt laufend zu erkunden. Ich freue mich schon auf das absolute Highlight meiner „Indian Running Tour“, dem Mumbai Marathon am 16.Januar und hoffe auf erträgliche Temperaturen, akzeptable Bedingungen und noch ein paar Trainingskilometer abseits der großen Städte, um den Lauf durch die Metropole am Arabischen Meer auch wirklich genießen zu können.

(Wolfgang Bergthaler aus Hyderabad)

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Wolfgang Bergthaler

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