Der Anschluss Indiens an den Finanz-Kapitalismus

In Indien wurde der Kapitalismus erst 1991 eingeführt. Seit der Unabhängigkeit 1947 stand sozialistische Planwirtschaft mit all seinen (Vor-) und Nachteilen auf der politischen und wirtschaftlichen Agenda. Die Gründerväter der indischen Nation (Gandhi, Nehru, Ambedkar & Co) hatten für Indien ein alternatives System vorgesehen: nämlich eine (vom Ausland) autarke Volkswirtschaft, die stark auf die dörflichen Strukturen, Landwirtschaft, Selbstversorgung und staatlicher Kontrolle beruhte. Die UdSSR war bis zu ihrem Zusammenbruch nicht nur enger Kooperationspartner (militärisch, wirtschaftlich, technologisch), sondern in vielen Bereichen auch Vorbild Indiens sozialistischen Planwirtschaft. Nichtsdestotrotz wurde Indien nie kommunistisch oder totalitär regiert. Alle Bürgen genossen vor dem Gesetz gleiche Rechte. Demokratie und alle bürgerlichen Freiheiten waren unantastbar. Wenn etwas wirtschaftlichen Wohlstand für alle verhinderte, dann war es das alte Kastensystem, das immer noch integraler Teil der hinduistischen Gesellschaft ist.

Dann war 1991 der indische Staat so gut wie bankrott
. Die Regierung konnte die Staatsschulden nicht mehr bedienen und sich nicht mehr refinanzieren. Neben dem beträchtlichen Haushaltsdefizit litt Indien unter dem hohen Ölpreis (Golfkrieg!), einer überbewerteter Rupie, fehlenden Währungsreserven und einer stagnierende Wirtschaft. (Kommt Ihnen das bekannt vor…?)

Der IMF (International Monetary Fund) war sofort zur Stelle und bot seine Hilfe an. Ein Kredit in der Höhe von USD 2 Milliarden (nach heutigen Maßstäben geradezu lächerlich wenig) wurde in Aussicht gestellt. Im Gegenzug musste Indien eine Menge wirtschaftlicher „Reformen“ umsetzen, zum Beispiel die Öffnung der Wirtschaft für Auslandsinvestitionen, die Privatisierung der Industrie sowie Abbau der Zölle oder Abschaffung von Subventionierungen für die Landwirtschaft. Als wenn das nicht schon genug wäre, musste Indien 67 Tonnen seiner staatlichen Goldreserven als Sicherheit für den Kredit verpfänden und in die Schweiz beziehungsweise nach England ausfliegen!

Schon damals sahen Kritiker die nationale Souveränität durch diese Bedingungen bedroht. Schlussendlich wurde der Regierung aber keine andere Wahl gelassen und Indien musste den Kredit und die damit auferlegten Konditionen akzeptieren.

Seitdem ist Indien integraler Teil der kapitalistischen Welt und der Globalisierung. Der Deal war: Kredit (geschöpftes Geld) gegen Systemwechsel und Anschluss an die amerikanische Vorherrschaft. So wurde das zweitgrößte Land der Welt kapitalistisch – ganz ohne Waffengewalt. Damit steht seit 1991 Indien mehr oder weniger unter dem Einfluss der amerikanischen Finanz-Elite und ihr Einfluss wird immer stärker.

Ob die Öffnung der Wirtschaft (und damit die Einführung des Kapitalismus) ein Genie-Streich des damaligen Finanzministers und heutigen Premier-Ministers Manmohan Singh oder doch ein Sieg der amerikanischen Politik und Finanz-Elite war, können Sie selbst beurteilen.

(Kommentar von Wolfgang Bergthaler)

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Wolfgang Bergthaler

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