Wolfgang Bergthaler über Outsourcing nach Indien

Land der Egoisten (Kommentar von Wolfgang Bergthaler)

Indien ist die kompetitivste Gesellschaft, die man sich vorstellen kann – egal ob in Wirtschaft und Arbeitsleben, in der Ausbildung und beim Studium oder einfach nur im täglichen sozialen Umgang miteinander: In Indien ist alles von Wettbewerb und Konkurrenzdenken geprägt.

Die Gründe warum man hier die Ellbogen so massiv ausfährt sind meiner Meinung nach folgende:

  • Mehr Nachfrage als Angebot: Meistens gibt es einfach zu wenig Ressourcen/Ausbildungsplätze/Jobs/Produkte/etc für zu viele Menschen. Daher ist es für viele eine reine Notwendigkeit schneller, besser, stärker und geschickter zu sein als Andere – sonst bleibt man auf der Strecke.
  • Statusdenken und entfesselter Kapitalismus: Neben der Kastenzugehörigkeit spielt Finanzvermögen eine mindestens so große Rolle in der Definition von Status. Der moderne Inder definiert sich heute über Geld und Einkommen. Zum Vermögensaufbau muss man sich dem Kapitalismus, und dem ihm inhärenten Konkurrenzdenken, bedienen. Indien ist die neue USA! Nirgendwo kann man heute, als Unternehmer, so reich werden wie in Indien – und „reich werden liegt absolut im Trend“. Nur Geld korrumpiert – und die meisten Inder haben jegliches Gefühl für die immateriellen Dinge sowie sozialen Ausgleich verloren. Mehr ist besser!
  • Das Kastenwesen: Dieses Jahrtausende alte hierarchische System hat die Gesellschaft von oben nach unten (ein)geteilt. „Ungleichheit“ war und ist dabei das oberste Prinzip. Die oberen verfügten über die unteren, minder in Ansehen, Einkommen, Bildung und Möglichkeiten. Die Gesellschaft war stets steil hierarchisch organisiert und kaum/nicht durchlässig. Oberstes Ziel des (Kasten-)Systems war der Bewahrung der eigenen Kultur, Abschottung von äußeren Einflüssen, Reinheit der Kaste/Community sowie wirtschaftliche Vorteile. Quasi nicht viel anders als die Rassengesetze im Deutschen Reich.

Nach oben buckeln und nach unten treten

Auch wenn das Kastensystem seit 1947 „verboten“ ist, lebt es natürlich in der Gesellschaft weiter. Wenn ein Teil der Gesellschaft mehrere Jahrtausende lang wirtschaftlich und sozial diskriminiert war, sind sie auch in der Zukunft mehrere Generation lang benachteiligt. Aber auch die heutigen Verhaltensmuster sind im Ansatz immer noch die gleichen Archaischen wie früher. Auf der einen Seite Unterwürfigkeit und Demut der Massen gegenüber den „Oberen“/Reichen/Gebildeten. Auf der anderen Seite Ignoranz, Geringschätzung bis zu Ausbeutung der ärmlichen ungebildeten Massen seitens der Eliten. Diese Machtdistanz gibt es aber nicht nur zwischen ganz oben und ganz unten, sondern in jeder zwischenmenschlichen Beziehung. Wenn sich zwei Indern treffen ist nach ein paar Augenblicken bis Worten klar, „wer über wem steht“.

Diese Muster kann man noch, in abgeschwächter Form, in vielen Konstellationen des tägliches Lebens wiedererkennen: Vorgesetzte führen ihre Mitarbeiter wie ein Militärregiment. Der Gast behandelt den Kellner wie den letzten Dreck (- im Hinterland auch der Mann die Frau). Polizisten, Bürokraten und Beamten spielen ihre vermeintliche Autorität aus und behandeln die Bürger im besten Fall noch wie ohnmächtigen Bittsteller.

Aber auch jedes Kunden-Lieferanten-Verhältnis folgt ähnlichen Dynamiken. Kunden fordern ein Maximum an Leistung, Service, Qualität sowie Verfügbarkeit rund um die Uhr. Ich erlebte oft, dass indische Kunden jedes Fingerspitzengefühl verlieren gegenüber ihren Lieferanten, aber auch Mitarbeitern. Sie verlangen ihren Lieferanten alles ab und geben kaum Luft zum Atmen. Die Deadlines sind hart, die Margen sind dünn, der Ton rau und Kunden nervig. Nicht der Ton macht die Musik. Das Geld (bzw der Status) macht die Musik!

Ressourcenengpass, Statusdenken und die vom Kastenwesen geprägte hierarchische Gesellschaft führen dazu dass Rücksichtslosigkeit, Eigennutz und Willkür im täglich Umgang nicht unbekannt sind
.

(Kommentar von Wolfgang Bergthaler)

Similar Posts:


Beitrag veröffentlicht

von

Wolfgang Bergthaler

Kommentare

Schreibe einen Kommentar